12 März 2009

Warum jetzt nicht mehr hier?

Man kann ja gar nicht oft genug umziehen. Sinnkrise, Unwohlsein oder zusammengefasst: kreative Behäbigkeit. Aber diesmal ist es anders! Ich schwöre!

1. Google

Ich habe mich immer recht wohl gefühlt bei Blogspot.com/Blogger.com. Das System war immer ein bisschen veraltet und hier und da unnötig kompliziert. Aber ich habe mich sicher gefühlt. Anonym und unbehelligt. Dazu all die Dinge um die man sich mit einem Blogprovider statt Hoster eben nicht rumschlagen muss.
Und Google machte den Eindruck eines Felsens. Ich hatte zeitweise gedacht, dass Google seine Markt- und damit auch allgemeine Macht immer im Sinne der Freiheit einsetzen würde. Ich weiß. Das war naiv.
Das hat sich ja nun auch geändert. Google löscht auf Zuruf Blogartikel oder gleich ganze Blogs. Ganz ohne mit den Betreibern überhaupt zu sprechen. Als ich davon hörte, war mir sofort klar, dass das zwichen uns, mir und blogger.com, das Ende sein würde.

2. Anonymität

Ich habe bisher anonym gebloggt. Ich war sicher vor der Verfolgung von Rechtsanwaltspraktikanten oder automatisierter Monitoringsoftware mit Abmahnsplugin. Wenn nun aber jemand es wirklich wissen wollte, konnte er meine Identität mit vertretbarem Aufwand und etwas Schläue herausfinden. Das fand ich fair, denn wenn ich wirklich mal zu weit gegangen sein sollte, würde es mich eben doch erwischen.
Jahre lang bloggte ich also so anonym vor mich hin und natürlich genoss ich auch die dadurch gegebene Redefreiheit. Man geht weiter, weiter in Richtung eigener Emotionen und Anschauungen, wenn man anonym schreibt. Das viel befriedigender und auch die Leser haben dadurch einen authentischeren Autor.

Aber irgendwann - wenn man lange genug dabei ist und der Enthusiasmus Geltungsdrang noch nicht abgeflaut ist - kommt man an einen Punkt, an dem man anonym nicht mehr weiter kommt. Man quasi an eine Decke stößt. Diese Decke wird durch die klassischen Medien definiert. Die lassen einen "mspro" eben einfach nicht durch. Sie ignorieren ihn schlicht. Und so kann beispielsweise NDR-Kultur wider besseren Wissens das gesamte Twitkrit-Projekt einzig und alleine Bosch zuschreiben, weil er als einziger mit Realname im Impressum stand. (Ja, natürlich bin ich neidisch, eifersüchtig und so. Aber ich möchte betonen, dass Bosch da nichts für kann und das hier geht definitiv nicht gegen ihn.)
An dieser Decke habe ich mir jedenfalls bereits mehrmals den Kopf gestoßen und irgendwann muss man einfach einsehen, dass Netzidentitäten den Normalkonsumenten noch nicht zu vermitteln sind.

Also: Sehet her! Mein Kohlenstoffweltname ist Michael Seemann!

Hier wird nicht grundsätzlich was anderes stehen, als sonst (also meistens garnix) aber jetzt eben unter dieser eignenen Domain. Und irgendwie bin ich ein bisschen stotz drauf. Also, liebe Leute, es gilt mal wieder: Aktualisiert Eure Feedreader, aktualisiert Eure Blogrolls. Es geht jetzt weiter auf: mspr0.de

25 Februar 2009

ich frage mich mich manchmal

Ist nicht die Vorstellung, dass niemand jemandem mehr Geld leihen würde, wenn alle Banken pleite gehen würden, auf dem selben Sand gebaut wie die idee, dass es keine Musik mehr gäbe ohne Musikindustrie?

17 Februar 2009

Grundeinkommen

Ich habe gezeichnet. (Schnell! heute ist Ende der Zeichnungsfrist) Ich bin mir nicht sicher, ob das alles so klappen würde, wie es dort steht. Ich bin auch nicht sicher, ob das Grundeinkommen schon der Weisheit letzter Schluss ist. Was mir aber gefällt, ist diese grundsätzlich andere Herangehensweise, weil ich an dessen Notwendigkeit keinen Zweifel habe. Und ich finde es gut und richtig die Politiker mit dieser Petition zu zwingen, sich ernsthaft mit diesen Herangehensweisen auseinanderzusetzen.

Denn für mich sind ein paar Gedanken in dem Konzept Grundeinkommen entscheidend, die ich, jedenfalls im Kontrast zum derzeitigen System, für zukunftsweisend halte:

1. Dass beispielsweise eine Besteuerung des Arbeitslohnes ein Anachronismus ist, der schnellstens abgeschafft gehört.

2. Dass der Zusammenhang: Arbeit/Geld nicht die Relation hat und nie gehabt hat, als es uns die so genannten "Leistungseliten" hatten weismachen wollen.

3. Und als letztes und entscheidendes: Dass die Menschen seit immer schon dafür arbeiten, weniger oder gar nicht mehr arbeiten zu müssen. Das scheinen einige Menschen völlig vergessen zu haben.

Und das ist ein Gerechtigkeitsproblem: Obwohl wir immer bessere Maschinen bauen, obwohl durch Computer, Vernetzung und und neue Tools, die Produktivität des Einzelnen immer weiter steigt, spiegelt sich diese Leistungssteigerung nicht in seiner Lohntüte wider. Oder in seiner Freizeit. Sondern einzig und alleine in den Ausschüttungen der Kapitalbesitzer.

Und das obwohl wir theoretisch bereits an jener Schwelle stehen, wo keiner mehr arbeiten bräuchte, der es nicht will - sofern das Erwirtschaftete gerecht verteilt würde. Eigentlich ist das ein Unding, dass wir Menschen nicht schon längst die Früchte der Rationalisierung und Automatisierung, der Computerisierung und der Robotik eingefordert haben. Ich kann es mir nur so erklären, dass die Ideologie der Arbeitsgesellschaft, noch tief in den Köpfen steckt. Deswegen fordern die meisten noch heute nicht die Früchte ihrer Produktivitätssteigerung, sondern das, was sie damit abgeschafft haben: Arbeit. Hirnrissig? Hirnrissig!

Aber ich habe den Eindruck, dass da weiterhin eine tiefsitzende Ideologie in den Köpfen arbeitet. Dieses calvinistische Erbe, die protestantische Arbeitsethik, die dem Kapitalismus alter Prägung zum erforderlichen Schwung verhalf. Es ist nichts anderes als die "Sklavenmoral" Nietzsches, die die unteren Schichten unten hält, mit so genannten Tugenden der "Rechtschaffenheit" und der "ehrlichen Arbeit". Ein Weltbild in dem "Fleiß" schon irgendwie zum "Erfolg" führen wird.

Wäre ich Gegner des Grundeinkommens würde ich meine Motivation mal nach diesen Ideologemen untersuchen.

11 Februar 2009

Bekenntnis

Danke Fred.

Als ich etwa 11 war, beschloss ich für mich, nicht mehr an Gott zu glauben. Es kam mir alles irgendwie nicht sehr schlüssig vor, was ich über diesen Typen gehört hatte. Ich sagte das meinen Eltern und sie meinten: Ok. Aber sie rieten mir, dass ich mich dennoch konfirmieren lassen solle. Der Geschenke wegen. Ich fand das einen okayen Deal.

Trotz meiner atheistischen Überzeugung habe ich mich aber immer für Religionen interessiert. Bis heute. Meine Eltern hatten -unter vielen anderen - auch sehr gläubige Freunde. Ich ließ mich, immer wenn sie zu Besuch waren, gerne auf Gespräche über Gott ein. Ich dachte ja auch manchmal, ich habe das ganze einfach noch nicht verstanden. Dem war nicht so. Ich glaubte halt einfach nicht an Gott.

Die Gespräche waren nichtsdestotrotz immer gut. Diese Menschen, die an Gott glaubten, waren ja auch meist kluge Leute. Niemals kam ich auf den Gedanken, ich könne ihnen intellektuell überlegen sein. Bis heute nicht. Und ich habe auch heute noch Freunde, die offen dazu stehen, an Gott zu glauben. Leute, die ich auch ihres Intellekts wegen schätze.

Ich glaube heute, dass mir tatsächlich eine gewisse Disposition zum Glauben fehlt. Ich glaube aber nicht, dass das notweniger weise ein Vorteil ist. Es ist eben so. Ich bin so, andere sind anders. Manchmal beneide ich sogar meine gläubigen Freunde. Aber nur sehr selten.

Niemand hat jemals ernsthaft versucht, mich zu missionieren. (Lassen wir den Dorfpfarrer mal beiseite, der im Konfirmandenunterricht einfach seinen Job gemacht hat) Ich habe nie einen Druck verspürt, zur anderen Seite herüber wechseln zu müssen. Alle gläubigen Menschen, die ich je traf haben auf Anhieb meinen Atheismus akzeptiert. Und ich habe wahrscheinlich genau deswegen meine Welt nie in Gläubig/Ungläubig eingeteilt.

Klar, ich habe den Papst kritisiert, immer wenn ich ihn kritisierenswert fand. Bei "das Leben des Brian" habe ich herzhaft gelacht. Ich glaube sogar, mit gläubigen Freunden zusammen. Ich kann jederzeit, und auch hier, frei heraus sagen: "Lieber Gott, ich glaube nicht an Dich!", ohne dass ich mich um meinen Platz im Himmel fürchte. Ich halte religiösen Fanatismus für schlimm. Aber eben nicht für schlimmer als jeden anderen Fanatismus auch.

Wahrscheinlich kann ich deswegen mit diesem triumphierenden "Ha! Ich bin Atheist und du bist doof!" a la Dawkins nichts anfangen. Im Gegenteil. Es widert mich an.

Ich bin Atheist. Aber keiner, der sich deswegen auf die Brust schlägt. Ich halte Menschen, die sich durch ihren Atheismus definieren, für ebenso gefährlich, wie Menschen, die sich durch ihre "Christlichkeit" oder sowas definieren. Ich möchte mit beiden bitte nichts zu tun haben. Denn diese Menschen sind Leute, die eine Grenze ziehen wollen, damit sie die jeweils andere Seite wahlweise als ketzerisch oder dumm darstellen können.

Ich hasse Menschen, die ihre Überzeugungen über die ihrer Mitmenschen stellen wollen. Ich halte diese Menschen für das Übel in der Welt und nicht die Heterogenität von Weltbildern. Die halte ich weiterhin für gut.

03 Februar 2009

Gegen die Bahn mobil machen

Eigentlich ist es nicht zu fassen. Was sich Mehdorn in der Geschichte der Bahn bereits alles erlaubt hat, hätte für jeden anderen schon zu einer ganzen Reihe von Rücktritten geführt. Und Rücktrittsforderungen gegen ihn sind ja nun nicht neu. Auch nicht aus der Politik. Ich schätze in Deutschland hat noch kein anderer Mensch innerhalb eines Postens so viele Rücktrittsforderungen überlebt. Und das, obwohl der Posten auf dem er sitzt, ein politischer ist.

Passiert ist bisher gar nichts. Damals noch von Schröder installiert, scheint Mehdorn vor allem in der SPD aber auch immer mehr in der CDU absolute Narrenfreiheit zu haben. Dazu dieser interessante Sternartikel.

Wie kann das sein? Da kann man nur mutmaßen:

[Link]

Zur Erinnerung: Was der Kerl schon alles auf dem Kerbholz hat:

  • Das Tarifreformdesaster vor ein paar Jahren. Eine Tarifreform, die sich als derart unhinnehmbar erwies, dass sie in großen Teilen komplett zurückgenommen werden musste. Eine unglaublich peinliche Angelegenheit und der endgültige Ausweis der betriebswirtschaftlichen Inkompetenz der Bahnführung.
  • Der spektakuläre Tarifkampf mit den Gewerkschaften. Mehdorns Politik der verbrannten Erde kostete dem Unternehmen allein durch den Tarifkampf und die Streiks mehr Geld, als die Gewerkschaften überhaupt hätten fordern können. Mehdorn ist alles egal, außer seinem Ego.
  • Die Wartungsschlamperei und die technischen Mängel an den ICEs. Es musste immer erst etwas passieren, dass dort richtige Kontrollen stattfanden. Sparzwang galore.
  • Bahnpersonal setzt mehrfach Kinder, die im Besitz keines oder eines falschen Fahrscheins sind, alleine irgendwo in der Walachei aus.
  • Das schlampige Verrottenlassen/bzw. das Aufgeben von Bahnstrecken. Auch hier der Sparzwang, der die Sicherheit der Fahrgäste aufs Spiel setzt und ganze Regionen unerreichbar macht.
  • Die unverschämten Boni, die er für sich und seine Topmanager im Falle eines Börsengangs der Bahn plante. Und dann nur auf öffentlichen Druck zähneknirschend wieder strich.
  • Überhaupt: Das Börsengangchaos. Völlig merkbefreit will Mehdorn trotz der schlechten Vorbereitung der Bahn und vor allem dem Chaos an den Finanzmärkten auf das Parkett drängen. Wurde er angestellt das Unternehmen zu ruinieren?
  • Und jetzt die Bespizelungsaffaire im monumentalem Ausmaß. Bigottes Leugnen, dehnen der Wahrheit und scheibchenweises Fabulieren von Quasieingeständnissen. Sich winden unter der Last der Stasimethoden, die es auf eigene Mitarbeiter anwandte. Der Mann ist ein Krimineller!
  • Und jetzt schlägt die Bahn dem ganzen den Boden aus. Jetzt mahnen sie Netzpolitik.org ab, weil Markus den Text einer internen Gesprächsrunde dort gepostet hatte. Es hatten bereits viele Medien explizit aus diesem Dokument zitiert, aber keines hat es für nötig gehalten es in seiner Ganzheit zu veröffentlichen. Markus tat es und wurde sogleich von der Bahn kassiert. (Dazu ein Interview mit Markus)


Es wird Zeit, dass aus den Rücktrittsrufen der Politik endlich auch Taten folgen. Die Politik soll endlich aufhören, Mehdorn zu decken. Mehdorn soll endlich zurücktreten. Er hat die deutsche Verkehrspolitik schon lange genug behindert. Mit seinen Skandalen kann man Romane füllen. Egal, was der Mehdorn für Dossiers über Politiker haben sollte, so jemanden an der Spitze eines derart wichtigen Unternehmens zu belassen ist nicht nur absurd, es ist geradezu kriminell.

Wenn wieder einmal nichts passiert und Hartmut Mehdorn damit durchkommt, dann bin ich gewillt Strafanzeige gegen Unbekannt zu stellen. Wegen Korruption.

Derweil sollte man sich überlegen, was man noch für Druckmittel auf die Politik hat, dass sie endlich handelt. Vielleicht eine Petition?

PS: Ich habe beim Googln eine Version des abgemahnten Dokumentes hier gefunden. Nur für den Fall, dass Markus gezwungen wird, das Dokument zu löschen.

30 Januar 2009

Twitter stinkt!

1. ich-follow-alles-was-nicht-bei-3-auf-den-bäumen-ist-und-entfollow-alle-wieder-um-mit-den-zurückfollowern-meinen-account-aufzupimpen. Ihr stinkt!

2. ich-scheiß-drauf-ob-ich-mit-über-1000-friends-überhaupt-noch-was-mitbekomme-hauptsache-die-follower-stimmen. Ihr müffelt!

3. ich-entfollowe-alle-die-mich-nicht-zurückfollown-egal-ob-es-mich-interessiert-was-die-schreiben-oder-nicht. Ihr riecht unangenehm!

Das Followergewichse geht ziemlich auf den Sack. Aber sowas von. Die Twittercharts sind das Übel von Twitter schlechthin. Sie richten Twitter so nieder, wie es der Schwanzvergleich auf Blogscout mit den Blogs getan hat. Es geht nicht mehr um Interessen, Vorzüge, Stil, Schreibe, Sympathien. Es geht alles nur noch um Awareness.

Ach, geht einfach weg mit Eurer Scheiße!

Und nein, Sascha, Du machst es mit sowas nicht besser.

26 Januar 2009

140

Ich erkläre Twitter - im Gegensatz zu den anderen - in 252 Zeichen, statt den geforderten 140. Das hat der Videopunk errechnet:

Link: Was ist Microblogging?

20 Januar 2009

ich!


[Du]

14 Januar 2009

Twitterlesung in Hamburg

Ach ja. Hier ist ja auch noch Platz!




Also: Meine alte Heimat Hamburg hatte ich, entgegen anders lautender Gerüchte, sehr lieb. Klar, hatte sie Fehler. Unter anderem den, dass es dort keine Twitterlesung gab. Gut, die gab es in Berlin auch nicht, bevor wir sie organisierten. Aber bis heute stand Hamburg unter den deutschen Weltstädten (Berlin und Hamburg) mit ohne Twitterlesung sehr alleine da.

Das hat sich nun geändert. Hamburg holt sich ein Stück des Kuchens und damit endlich auf!

Am 22.1.2009 - das ist ein Donnerstag - werden wir (= twitkrit) in der Hamburger Botschaft die Bühne stürmen und ein Feuerwerk an Aphorismen auf die Hamburger niederprasseln lassen. Einlass ist ab 20 Uhr und wer sich gute Plätze sichern möchte, der sollte früh kommen.

Ich hoffe natürlich vor allem auf die vielen alten Bekannten, die ich dort treffen werde. Bitte kommt da hin und meldet Euch jetzt schon mal an, dort in den Kommentaren (Es gibt nur wenige Plätze). Ich freu mich auf Euch!

10 Dezember 2008

Kadens Kampf gegen die Realität

Egal wo man hinschaut: die neoliberale Elite ist wie gelähmt. Das sieht man nicht nur an Merkel/Steinbrück, die sich an alten Bärten festhalten und jede staatliche Konjunkturanstrengung als des Teufels geißeln, während die ganze restliche Welt eifrig Pakete schnürt. Das merkt man vor allem in den Medien. Die üblich verdächtigen Kommentatoren sind ganz Leise geworden. Und wenn man etwas von ihnen hört, dann sind es Töne, für die sie Lafontaine vor ein paar Monaten noch am liebsten hätten einsperren lassen.

Es gibt aber auch andere. Es gibt Leute, die ihr zusammengebrochenes Weltbild krampfhaft versuchen zu retten. So der ehemalige Chefredakteur des Manager-Magazins, Wolfgang Kaden, in diesem auf Spiegel Online publizierten Essay. Während er das Übel der jetzigen Krise aneinanderreiht und tatsächlich streckenweise beim Namen nennt, steigert er sich immer weiter hinein, in den Wahnsinn, der dieses System ausmacht. Und so kommt er schließlich nicht umhin, die Systemfrage zu stellen:

Denn wenn wir eine systemische Krise in den vergangenen Monaten erlebt haben und wohl auch noch weiter erleben werden, um einen derzeit gern verwendeten Begriff zu strapazieren, dann nicht nur eine der Geldbranche. Sondern auch eine Krise der Gesellschaft: einer Gesellschaft, die blind dem Wachstumsglauben, dem Beschleunigungs- und Machbarkeitswahn verfallen ist.


Es muss ihm selber wie ein Schock durchfahren sein. Er - die Systemfrage? Das darf nicht sein. Und jetzt passiert das unglaubliche. Er konstruiert sich eine Welt, jenseits aller Logik, in der das eben zusammengeht. Völlige Marktgläubigkeit und die jetzige Krise:

Es war nicht die Marktwirtschaft, die versagt hat. Die macht Fehler und kann immer wieder verbessert werden, wie es seit Adam Smith geschieht. Sie ist und bleibt ohne Alternative, mit ihrer Fähigkeit, Nachfrage und Angebot auszugleichen, für grandiose Innovationen zu sorgen, Massenwohlstand zu schaffen.


Nein, die Marktwirtschaft, oder besser - ich denke er vermeidet diesen Begriff bewusst - das System des Kapitalismus, ist daran nicht schuld. Neinnein. Der ist super, weiterhin.

Es waren Schuldenexzesse, es war Maßlosigkeit, die uns dahin gebracht haben, wo wir an diesem düsteren Jahresausgang stehen.


Es ist nicht kalt, es fehlt nur die Wärme. Das ist nicht teuer, nur der Preis ist zu hoch. Wie verzweifelt kann man argumentativ sein, das marktwirtschaftliche System vom System des Schuldenmachens trennen zu wollen? Schulden gehören in jedes kapitalistische System, wie der Motor zum Auto. Ohne Investitionen kein Fortschritt. Ohne Schulden keine Investition. Ergo ist das einzige, was ihm einfällt, die puritanische Mentalität des Rheinischen Kapitalismus:

Es gilt abzulassen von Wachstumszielen, die mit solider Finanzierung nicht zu erreichen sind; Tempo rausnehmen aus dem globalen Wirtschaftsrad, das sich immer schneller drehte; nachhaltig wirtschaften lernen; oder, altmodisch formuliert, in den Worten Ludwig Erhards: Maß halten.


Ach so. Ja, die Leute sollen halt bescheidener sein. So einfach ist das. Dann würde alles gut. Die immer wieder gehörte Gier der pösen Mitmenschen kommt hier zum tragen. Nicht das System ist falsch, wir hatten die falschen Menschen!

Das ist witzig. Nach dem weltweiten Zusammenbruchs des Kommunismus hat man ähnliches gehört: Die Planwirtschaft sei ein super System, nur die doofen Menschen waren einfach zu faul, ausschließlich zum Wohle der Gemeinschaft zu arbeiten. Der Kommunismus, wie der Kapitalismus, beide scheitern am falschen Menschen. Wie tragisch! Postkapitalismus, ick hör die trapsen.

PS: Auch schön, dass er, der sicher niemals zuvor gegen die horrenden Verschuldungsmechanismen der Privatwirtschaft gewettert hat, die uns diese Krise eingebrockt haben, jetzt vor allem - und wenn man genau liest: ausschließlich - den Staat geißelt.

Konkret: Der Staat muss Ausgaben kürzen; den Schuldenberg abtragen, anders als in den letzten Jahrzehnten, als immer neue Schulden dazukamen.


Denn er meint zu wissen:

Mit Schulden, um Eugen Schmalenbach noch mal zu bemühen, reiten eben nur geniale Individuen zum Erfolg. Nicht ganze Volkswirtschaften und Gesellschaften.


So. Dann können wir ja wieder zum neoliberalen Programm zurückkehren: "Pöser Staat, der du mit viel Aufwand die Trümmer beseitigst, die wir angerichtet haben, spar endlich!"