09 Oktober 2008

Geständnis

Zunächst ein Geständnis: ich glaube an die Selbstregulierung der Märkte. Ja, Ich. Jetzt seid ihr baff, oder? Dabei kommt das tollste ja noch.

Selbst jetzt, wo sogar die eingefleischtesten Neoliberalen ihre Meinung anzuzweifeln beginnen, glaube ich weiterhin an die Selbstheilungskräfte des Marktes.

Ich glaube, das was wir derzeit erleben, ist eine Marktbereinigung gigantischen Ausmaßes. Aber eben nicht das Ende des Kapitalismus. Der wird sich, nach ein paar Jahren stetiger Bettruhe, wieder in alter Frische erheben. Verändert, sicher. Aber auf jeden Fall wieder da.

Ich glaube das auch dann noch, wenn die Regierungen nicht eingreifen und einfach alles vor die Hunde gehen lassen. Selbst wenn alles crasht und die Weltwirtschaft so richtig nachhaltig im Arsch ist, wird sich der Markt erholen.

Woran ich aber nie geglaubt habe, ist, dass der Markt nur gut für den Menschen ist. Ich glaube, wenn der Markt jetzt unkontrolliert crashen würde, dann würde durch die weltweite Depression Elend, Hunger und Bürgerkrieg herrschen. Viele Jahre lang. Vielleicht auch schlimmeres. ich glaube fest daran, dass wir wieder Krieg hätten, auch in Europa. Dass Menschen verhungern würden, dass radikale Ideologien und verzweifelte Verteilungskämpfe Millionen von Toten weltweit fordern würden.

Was die Neoliberalen nie erkannt haben, ist, dass es nicht um den Markt geht. Der Markt mag sich selber regulieren und der Markt mag auch alles überleben, sich selber heilen usw.

Aber es geht doch um den Menschen!

Die paar BWL- und VWLvorleseungen denen ich beiwohnen konnte, vermittelten mir eines sehr genau: Das kalte Bild des Homo Ökonomikus. Der seinen Nutzen kühl kalkuliert und ihn stets maximieren will. Er will möglichst wenig Kosten aufwenden, um einen möglichst hohen Ertrag zu erlangen. Die Strategien zu diesem Ziel, sind der größte Teil jedes BWLstudiums. Man bekommt tatsächlich in Vorlesungen die Vorteile von Sollbruchstellen in Produkten gepriesen. Unter anderem.

Was komischer Weise nie Teil der BWL war, ist folgende Strategie: Jemand hat Geld, also haue ich ihn um und nehme es mir. Gibt es ein besseres, das heißt kostengünstigeres Verfahren seinen Nutzen zu maximieren? Ich denke kaum. Warum wird es dann nicht gelehrt? Es wird einfach daran liegen, dass es hier verboten ist. Vom Staat. Im Gegensatz zu Sollbruchstellen in Produkten oder dem Weiterverkauf von faulen Krediten.

Ich glaube an den Markt. Und ich glaube genau deshalb, dass er reguliert werden muss. Dass im Zentrum jeder Politik nicht der Markt, nicht die Exportweltmeisterschaft, nicht der Standort oder die Investitionen oder die Konjunktur stehen sollte, sondern der Mensch. Und die Gerechtigkeit.

40 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich hatte das mit dem Raub und dem Homo Oeconomicus - weil die möglichen Folgen des Verbrechens für den Räuber zu hohe Kosten bedeuten, entscheidet er sich für andere Wege der Nutzenmaximierung, bleibt damit völlig im Schema -, aber das war auch Soziologie und Politikwissenschaft, nicht BWL :)

(Der Artikel von Nils Minkmar ist zwar FAZ, aber nur FAZ-Feuilleton. Bis zum linken Kampfblatt haben sie noch ne Weile.)

mspro hat gesagt…

ja, aber man muss die staatliche Verfolgung von Raub und Mord deshalb auch als Marktregulierung begreifen. Gäbe es keine Verfolgung, gäbe es kaum Risiko, also auch kaum Kosten. Das wollte ich zeigen.

drikkes hat gesagt…

Leuchtet mir irgendwie ein.

Weshalb der Kapitalismus nicht längst am Ende ist.

Anonym hat gesagt…

der markt, der markt, was ist das denn? man tut immer, als gäbe es den einfach so, quasi naturgesetzlich, gar nicht von menschen gemacht. und regulation, unkompetente manager (vgl. http://www.stefan-niggemeier.de/blog/der-markt-selber-ist-ok/), unvollständige informationen und all das sind dann externe einflüsse auf "den markt". nein, märkte sind immer schon eine politische entscheidung.

mspro hat gesagt…

@ihdl Das eine schließt das andere ja nicht aus. Auch Kultur ist von Menschen gemacht. Dennoch ergeben sich in dem Ganzen eigenständige Dynamiken, die auch als solche beschreibbar sind. Das gleiche gilt für die Gesellschaft im allgemeinen.

Willyam hat gesagt…

Schau Dich doch mal beim Bankenverband um ... genauer: hier - und Du wirst lernen, dass "der Markt derzeit für bestimmte Produkte [einfach] keine fairen Preise vorgibt". Noch Fragen?

Anonym hat gesagt…

Du spielst hier mit falschen Karten. Zu behaupten, dass du an die Selbstregulierung des Markts "glaubst", um dann gleichzeitig kritisch zu diskutieren, wo die Stärken und die Grenzen dieses Steuerungsmodells sind, ist natürlich widersprüchlich. Das ist kein Glaube sondern eine begründete Meinung.
Polemik ist zwar meist eine schöne Sache, aber wenn es dir um Polemik geht dann ist es doch etwas offensichtlich die Religion des Marktes zu predigen, oder?
Bestätigen kann ich aber deinen Eindruck aus den BWL- und VWL-Veranstaltungen. Die ersten Semester bestehen da meist aus Einschwörungscamps und Konversionsritualen. Kritisches Denken ist in solchen Zusammenhängen äusserst hinderlich. Ich habe aber im Gegensatz zu dir eine höhere Schmerztoleranz und auch einige Kurse auf fortgeschrittener Stufe besucht und da wirds dann richtig unterhaltsam. Ich erinnere mich an zwei Stunden, in denen Studis nach ihrer BWL-Gehirnwäsche ratlos darüber diskutiert haben, weshalb man im Restaurant eigentlich bezahlen sollte, wenn man Essen und Getränke doch schon konsumiert hat. Die waren von der Frage ernsthaft verwirrt. Als Soziologe ist das ethnografisches Quellenmaterial erster Güte.

mspro hat gesagt…

Hose, nee. Das sind keine falschen Karten. Man kann an die Selbstregulierung und die Selbstheilung des Marktes glauben, und gleichzeitig, dass er gefährlich für die Menschen ist. Dass man ihn regulieren muss, weil Markbereinigungen in einem Sozialdarwinistischen Massaker enden können. Dass der Markt bei der Selbstregulierung eben keine Rücksicht auf Gerechtigkeit nimmt, oder auf einzelne Schicksale. Dass der Markt eben gut sein kann für die Menschen aber auch grausam wie eine Naturkatastrophe.

Man kann diese Fragen aufteilen, das wollte ich zeigen.

Anonym hat gesagt…

Damit bin ich schon einverstanden. Das aber als "Glaube" zu bezeichnen, halte ich für verfehlt. Bin gespannt auf mögliche von mir nicht vorhergesehene Glaubensdefinitionen deinerseits. Clinton hat schliesslich auch kreative Neudefinitionen für das Wort "is" vorgeschlagen.

mspro hat gesagt…

hmm, mein Begriff von Glaube ist ziemlich universell. Er steht nicht nur für eine vertrauensvolle Erwartbarkeit oder eine extrem hohe Wahrscheinlichkeit von Dingen, sondern ersetzt bei mir semantisch jede Ausformung von Wissen. Denn ich glaube nicht an Wissen.

Anonym hat gesagt…

Dann erübrigt sich wohl jede Diskussion, wenn du dich nicht an irgendeine sinnvolle sprachliche Regelung halten willst. Aber nicht vergessen, dass ohne differenzierende Sprache nicht viel ist mit klarem Denken und mit Interaktion wirds sogar noch schwieriger.

mspro hat gesagt…

hmm, Deinen Einwand finde ich hingegen alles andere als differenziert. Wie verwendest du denn "glauben"?

Anonym hat gesagt…

Jede Ausformung von Wissen als Glauben bezeichnen zu wollen, macht einfach keinen Sinn. Dann brauchst du keine zwei Begriffe mehr. Sollte das deine Reaktion auf das Gettier-Problem sein, dann viel Glück damit. Ich bin nicht gewillt eine Diskussion zu führen, wenn du nicht mal der Bequemlichkeit halber semantisch zwischen Erwartungshaltungen unterscheiden willst, die entweder nur auf (blindem) Vertrauen basieren - GLAUBEN - oder aber durch irgendeine Form der Rationalität (zweck- oder wertrational) begründet und als Wirklichkeitsbeschreibungen verstanden werden - WISSEN.

mspro hat gesagt…

Wo wir gerade bei Offtoppic sind ;)

Glauben basiert in meiner Welt auf Vertrauen, das in der Tat zunächst einmal blind ist. Und damit sind wir wieder mitten in der Finanzkrise. Denn Kredit (lat. credere) bedeutet Vertrauen. Die Welt, egal welche, funktioniert nicht ohne Vertrauen. (und wenn man einen tieferen Grund angeben sollte, warum das Finanzsystem uns gerade um die Ohren fliegt, naja, könnt ihr euch selber denken.)

Was andere Wissen nennen, ist aber ebenso verschuldet. Das Messgerät ebenso, wie die Statistik oder der Experte. Es gibt keine unverschuldeten "Tatsachen". Ein Dr. Titel, eine Eichung oder eine "Repräsentativtät" sind nichts weiter als Bonitätsausweise. Warum also nicht ehrlich sein, und zugeben, diesen Dingen lediglich "Glauben zu schenken", mit anderen Worten Kredit einzuräumen?

Anonym hat gesagt…

Wenn du keinen semantischen Unterschied zwischen Wissen und Glauben machen willst, dann ist dein Hinweis auf Vertrauen als allgegenwärtiges Fundament sozialer Beziehungen eine schlechte Begründung. Der Erwerb von unzähligen Dingen basiert auf Vertrauen (Autos, Essen, Liebe, etc.), deswegen aber alle diese Dinge als Glauben bezeichnen zu wollen ist äusserst unpraktisch. Wenn du zwischen den Dingen (Wissen, Glauben) und den Prozessen, mit denen diese erworben werden nicht unterscheiden willst, dann musst du nochmal (doppelt) argumentativ nachlegen. Ich vertraue hier schliesslich darauf, dass mir ein vernunftbegabtes Gegenüber antwortet, das einige basale diskursive Normen für verbindlich betrachtet.

mspro hat gesagt…

"Wissen" hieße, absolut wasserfeste Kredite zu vergeben. Ich weiß, dass viele mit sowas werben. Allein, ich glaube nicht daran. Auch schon vor der Kreditkrise nicht.

Anonym hat gesagt…

Ok. Du willst also nicht weiter über die grundsätzlichen Kategorien Wissen und Glauben diskutieren. Damit hat sich die Schnittmenge unserer gemeinsamen Interessen an diesem Gespräch erledigt.
Solltest du eines Tages eine gute Begründung finden, weshalb es keinen Sinn macht, Wissen und Glauben zu unterscheiden, so wäre dir mindestens eine Professur in Philosophie sicher. Bis dann, ciao.

mspro hat gesagt…

vielleicht gibst du einfach mal ein Grund an, warum Du "Wissen" brauchst. Was Wissen im Unterschied zu Glauben jetzt sein soll? (abgesehen vom schwammigen: das ist aber rational Totschlagargument) Und vielleicht gehst Du mal auf irgendeines meiner Argumente ein.

mspro hat gesagt…

Davon abgesehen, muss eine Unterscheidung begründet werden, eben und nicht eine Nichtunterscheidung. Montesquieu's "Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, ist es notwendig, kein Gesetz zu machen." lässt sich sehr gut auch auf Unterscheidungen anwenden.

(bevor du fragst. Ja, ich liebe es analytische Philosophen zu quälen ;) )

Anonym hat gesagt…

Nicht nur analytische Philosophen kennen das Gettier-Problem und nicht nur analytische Philosophen zeigen sich irritiert durch den advocatus diaboli.
Es sollte eigentlich klar geworden sein, dass mich hier nur eine Frage interessiert: Welche Begründung hast DU, um Wissen nicht von Glauben unterscheiden zu wollen? Den Montesquieu kannst du dir dabei schenken, unter anderem weil ich ja nun nicht ganz der Erste bin, der Wissen und Glauben unterscheidet oder auch weil Montesquieu einfach nicht von begrifflichen Unterscheidungen spricht. (Analogieschluss und Beweislastumkehr, my ass!)
Das einzige Argument von dir gegen die Unterscheidung, dass ich bis jetzt ausmachen kann, ist: beides ist vertrauensbasiert. Dass dieses Argument nicht trägt, habe ich schon gesagt. (Ich kann schon auf Argumente reagieren, wenn sie "ontopic" sind.)
Für die Position, die ich hier vertrete, gibt es schliesslich schon genug Beispiele. Nicht nur die analytische Philosophie kämpft für die Erhaltung der Unterscheidung Wissen/Glauben, sogar die Wissenssoziologie tut es. Die interessanten Positionen sind also jene, die die Unterscheidung aufgeben wollen. Interessant sind diese Positionen aber nur insofern sie auch begründet werden. Mir geht es hier nur darum eine solche kohärente Begründung aus dir heraus zu bekommen. (Dialog, remember?) Du gibst mir bis jetzt aber Wenig, worauf ich mich einlassen könnte, damit wir hier eine interessante Definition von Glaubenwissen oder Wissenglauben finden.

mspro hat gesagt…

irgendwie drehen wir uns im Kreis. Mein Standpunkt, noch mal zusammengefasst: Man kann Informationen vertrauen oder nicht. Ob man dieses Vertrauen zu begründen weiß, ist lediglich eine formale Frage der Qualität des Vertrauens, also sehe einfach keinen Grund hier zu unterscheiden.

Dein Gegenargument ist aber bisher einfach: Nee. (Hab ich das richtig zusammengefasst?)

Aber Du meinst es gibt Beispiele. Also, her damit!

Anonym hat gesagt…

Richtig. Dazu kann ich einfach nur "Nee" sagen.
Es ist doch klar, dass wir Informationen immer über vertrauensbasierte Prozesse gewinnen. Die Begründung dieses Vertrauens ist aber eben nicht eine formale Qualität des Vertrauens! (Das ist es ja was du behauptest.) Die Begründung reflektiert die (formale) Qualität dessen, was durch das Vertrauen erworben wurde, z.b. Information.
Wissen und Glauben unterscheiden als Begriffe nicht primär die Prozesse, die zur Erlangung einer Meinung führen, sondern die Qualität dieser Meinung. In der analytischen Philosophie also: Wissen = wahre, gerechtfertigte Meinung.
Hier lässt sich natürlich einfach in einen Relativismus ausweichen, der dem Wissen keinen irgendwie gearteten Wahrheitsgehalt zuweisen will. Kann man machen. Ist aber nicht mehr sonderlich interessant. Mich interessieren Positionen, die Wissen nicht mehr über den Wahrheitsgehalt von Glauben abgrenzen, aber trotzdem ein Wahrheitskriterium im Auge behalten.

Anonym hat gesagt…

Beispiele? wirklich? (Ich getraue mich fast nicht, das zu sagen, aber wie wärs vielleicht mit (flüsternd) Platon?)

Anonym hat gesagt…

nix anonym, d'hose wo muesch lose, natürlich.

mspro hat gesagt…

*Gähn*, Ok. Na, dann hat das wirklich keinen Zweck. Wer "Wissen" mit "Wahrheit" begründen will, macht nix anderes als einen schönen runden Zirkelschluß. Dann kann ich auch die Schöpfungsgeschichte mit der Gott beweisen.

Anonym hat gesagt…

Wow. Hat wirklich keinen Zweck. Du scheinst keine Ambition zu haben, die Bedeutungen der Begriffe klären zu wollen, die du täglich verwendest. Willkommen in der Sprache der Beliebigkeit.
(btw und weil ich es nicht lassen kann: Mir ist noch keine Wissensdefinition untergekommen, die auf irgendein Wahrheitskriterium verzichten konnte und nicht automatisch trivial oder selbstwidersprüchlich war.)

mspro hat gesagt…

hehe. willkommen in der "Weil das ja klar ist"-Philosophie ;)

Willyam hat gesagt…

Wow ... ein paar Tage nicht vorbeigeschaut, und schon verpasse ich was. Die Unterscheidung Wissen/Glauben ... kannste nicht ohne Rückgriff auf faltige Begriffe wir "Tradition" oder "Geworfenheit" begründen, glaube ich. Ein Jemand in 2000 km Entfernung ist anders in-die-Welt-geworfen als ich es bin; hat folglich andere Horizonte, die Alltagsabläufe, -erwartungen und -wissen bestimmen. Wie willst Du, liebe Hose, eine Schnittmenge von "wissenswertem" ausmachen, wenn der eine seine Welt technisch-wissenschaftlich, der andere spirituell rationalisiert?

Anonym hat gesagt…

Aber nicht als letztes Wort 'Gerechtigkeit'. Der hiesige Sozialhilfeempfänger findet sich ungerecht entlohnt, genauso wie der Arbeitende, der am Ende 100 Euro mehr hat. Beide zählen weltweit zu den oberen 10.000, also wieder ungerecht.

So wie Sie das angehen, müßten Sie statt 'Markt' Evolution schreiben. Der Mensch hätte als vernunftbegabtes Wesen viele Chancen, seltsamerweise versucht er sich ausgerechnet am oberen und unteren Rand der Gesellschaft, die Menschen nunmal bilden, als der beschriebene 'homo oeconomicus'. Wie Sie das bschreiben, wird sich die Evolution einen davon aussuchen (wahrscheinlich keinen)...

Anonym hat gesagt…

Ich weiss nicht, woher du das mit der "Geworfenheit" hast (Heidegger?), aber in der Soziologie würde man das wohl Sozialisation nennen. Das war es aber, was ich weiter oben mit dem Ausweg in den Relativismus gemeint habe. Es gibt durchaus gute Gründe, die Begriffe Wissen/Glauben relativistisch zu fassen, indem man sagt, für jeden kulturellen/gesellschaftlichen Kontext bezeichnen wir als Wissen oder Glauben, was die Akteure selbst als Wissen oder Glauben verstehen. Man kann es durchaus dabei bewenden lassen. Das scheint vermutlich die Position von mspro zu sein.
Man kann aber durchaus fragen, was wir denn als Wissen oder Glauben verstehen wollen, das über konkrete Kontexte hinaus ein bestimmte Form von Gültigkeit beanspruchen kann. Das ist natürlich eine normative Frage. Wir geben uns Regeln, was wir als Wissen oder Glauben bezeichnen wollen. Für oder gegen solche Regeln lässt sich argumentieren, um über die eigene "Geworfenheit" hinweg zu kommen. (Ja, ich weiss, man kann das als Zirkelschluss bezeichnen. Aber nicht jeder Zirkel ist schlecht.) Mir scheint aber, dass mspro dieses Spiel des Regeln vorschlagen und diskutieren nicht wirklich spielen will.

etc. pp hat gesagt…

Ohne jetzt die 30 Kommentare hier gelesen zu haben: ein sehr guter Beitrag, dein "Geständnis", meines Erachtens. : )

Willyam hat gesagt…

@hose: Sozialisation ist meines Erachtens die entzauberte Variante dessen, worauf Heidegger in meinen Augen anspielt: Ihm scheint mir eher an einer Würdigung und keiner "reinen" Beschreibung des subjektiven "Daseins" in der Welt gelegen.

Mein Problem mit dem "Objektivismus" der modernen Wissenschaften ist das der (fehlenden oder unsichtbaren) Grenzziehung: Natürlich darf man sich, dürfen wir uns Regeln geben, was wir wie unter welchen Umständen als Wissen und was als Glauben verstanden sehen wollen. Ein Blick in die Geschichte der europäischen Expansionen zeigt besonders deutlich (weil sie in ihrem Motiv der Aufklärung besonders unterdrückend war), wie schnell der normative Vergleich in einen sich Ausschließlichkeit zusprechenden Imperativ auspegelt. Das ist doch die in Worten so schlichte Einsicht, die uns Foucault beschert: das Wissen und Macht niemals trennbar sind, sondern immer, zu jeder Zeit und unter allen Umständen ein antinomisches, wüstes, unsezierbares 'Eins' ist. Daher meine Parteinahme für mspro; daher meine Zuflucht auf dieses und ähnliches anstelle eines Aufstellens rigider Regeln. Wissen ist schlussendlich eben ungleich Wahrheit ist ungleich Realität.

Anonym hat gesagt…

Entzauberung ist ja immer eine schöne Sache, aber mir geht es garantiert nicht um ein irgendwie geartetes subjektives Dasein. Ich hatte eher gehofft, dass die Anspielungen von mspro in Richtung einer Nichtunterscheidung von Wissen/Glauben zeigen, die eine Begründung auf nicht-subjektivistischer und vor allem nicht-individualistischer Basis nachfolgen lassen. Da wurde ich enttäuscht.
Was die Explizierung deiner Hintergründe angeht, so bitte ich doch darum, dass du diese dann auch weiterdenkst. Wenn du Foucault ernst nehmen willst, dann ist aus jedem Macht/Wissen-Komplex kein entrinnen. Es gibt kein Sprechen und Handeln ausserhalb. Wie du dann mit traumwandlerischer Sicherheit den Satz "Wissen ist schlussendlich eben ungleich Wahrheit ist ungleich Realität." schreiben kannst, bleibt mir schleierhaft.
Das ist nicht viel mehr als eine bestimmte Form eines bestimmten Sprachspiels. Ich wollte aber die Regeln eines anderen Sprachspiels diskutieren, das genau den zitierten Satz für regelwidrig erklären würde. Dabei habe ich nicht nach rigiden Regeln gefragt, sondern nach interessanten Begründungen für Regeln. Wenn ihr mein Spiel nicht mitspielen wollt, dann kann ich nichts machen. Man kann nicht zwei Sprachspiele gleichzeitig spielen.
Was Hundebesitzer über ihren Liebling sagen gilt auch für mich "Er will doch nur spielen". Das ist vermutlich weit von dem entfernt, was du unter "Objektivismus der modernen Wissenschaften" verstehst.

Anonym hat gesagt…

Wenn man ernsthaft Gerechtigkeit verstehen will, müsste man zunächst unterscheiden zwischen dem normativ verstandenen "kalten Bild" des homo oeconomicus (der eher in Vulgärtheorien auftaucht, die sich gegen oder für irgendetwas aussprechen, das dort als "Kapitalismus" bezeichnet wird) und dem homo oeconomicus als theoretischem Modell, als Teil der Erklärung ökonomischer Vorgänge. Bekannt ist ja aus der politischen Theoriegeschichte die noch drastischere Frage, wie selbst ein Volk von Teufeln eine bestimmte Gesellschaftsform tragen kann.

Willyam hat gesagt…

Je nachdem, wie Du’s betonst: Ganz sicher ist aus jedem Macht/Wissen-Komplex kein entrinnen, und ebendrum kann ich meinen Satz mit traumwandlerischer Sicherheit wiederholen - weil ich um die stets unentrinnbar "diskursive", "voreingenommene", oder in Deinen Worten: schleierhafte Natur meines Wissens weiß. Es gibt allerdings das Entrinnen aus einem Diskurs in den Nächsten, da Diskurse Denk- und Sprachgrenzen, und damit: Handlungsgrenzen ziehen – und die kann ich befragen. Wie sehr kann ich mich ändern, indem ich mich über mich selbst befrage? Damit ist das Ganze mehr als nur ein laues, akademisches Spiel für Lehrstuhlanwärter. Dein analytischer Blick vermengt da Foucaults Philosophie mit der der „Postmoderne“ (die auch nur durch ihre schwachen Vertreter zum reinen Sprachspiel degradiert wird).

Vor diesem Hintergrund mein Verweis auf die europäischen Expansionen der Neuzeit: weil der sich aufklärende Geist auf dem Weg zu seiner Selbstfindung meinte, „objektive“ Regeln über sich und seine Umwelt aufstellen zu können, die dann „leider“ folgenschwere Konsequenzen nach sich gezogen haben. Sowohl die Konsequenzen als auch der Glaube an „objektive“ Regeln wirken bis heute nach, und ich beharre hoffentlich nicht zu dreist darauf, dass der Versuch eines „Lernen aus der Geschichte“ durchaus dazu berechtigt, goldenen Erkenntnisregeln mit etwas mehr Skepsis zu begegnen. Was in Deinen Augen Relativität bedeutet, vermute ich, ist für mich das Unternehmen, Platz für andere Weltsichten einzuräumen, um dominante Interpretationen (und das Handeln, das aus ihnen folgt und durch sie Rechtfertigung findet) zu hinterfragen.

Vor dem Hintergrund des in den Massenmedien so allgegenwärtig gespiegelten Leids nochmals also: Erkenntnis ist nicht Wahrheit ist nicht Realität. Daher mein Pochen auf Deontologisierungen. Aber nun Du: Dass es Dir garantiert nicht um ein irgendwie geartetes subjektives Dasein geht, ist inzwischen mehr als klar. Anstelle von Kritik würde ich von Deiner Seite mal gerne Vermutungen lesen. Ist da unter Umständen was machbar?

Anonym hat gesagt…

Ein Lesetipp dazu:
http://de.wikipedia.org/wiki/RREEMM

Willyam hat gesagt…

@ Björn: DANKE! Haste selbst darüber gelesen oder wie kommst Du zu der Empfehlung?

@ mspro: Bist Du schon mal über das Modell gestolpert?

Anonym hat gesagt…

@willyam: Das ist doch alles geschenkt. Du musst nicht wiedergeben, was du alles gelernt hast. Wir haben die notwendigen Texte auch gelesen und verstanden (deiner Meinung nach zwar postmodern abgeschwächt, aber immerhin).
Ich wollte ein Spiel spielen: Im Dialog mit vernunftbegabten Wesen etwas über die Definition von Wissen/Glauben lernen, was ich für mich alleine noch nicht weiss. Du stehst aber die ganze Zeit am Spielfeldrand und rufst: Das ist aber gefährlich!
Ich würde aber im Wissen um die Gefahr trotzdem gerne spielen. Vielleicht spielt man im Wissen um die Gefahr sogar besser. Leider ist mir die Lust daran langsam vergangen, da wir hier nichts Neues entstehen lassen, sondern immer nur an schon Geschriebenem hängen bleiben.
@björn: Bin ich zu unrecht skeptisch, wenn ich rational choice für mehr als nur um Statusbewusstsein erweiterungsbedürftig ansehe?

Willyam hat gesagt…

@ hose
Dann hast Du bei aller Lektüre eins nicht gelernt - gute Kritik ist konstruktiv. Die passendere Analogie zu unserer Situation wäre nämlich eher diese: Wir sitzen gemeinsam am Tisch und spielen unser Sprachspiel, dass Du allmählich langweilig findest. Du beschwerst Dich, aber konkrete Vorschläge bringst Du nicht ein.

Also: Bring Dich ein, und ich mach mir über Deine Spielentwürfe gern meine Gedanken.

Anonym hat gesagt…

@Hose
Was mir beim Lesen aufgefallen ist: Die Diskussion ging - meiner Meinung nach - deswegen nicht voran, weil du einerseits die Vereinheitlichung von Glauben und Wissen kritisierst, andererseits dich aber weigerst ein adäquates Gegenmodell zu bringen. Deine späteren Kommentare sprechen sogar tendenziell eher für eine vereinheitlichende Perspektive.
Ich persönlich bin der Meinung, dass Vereinheitlichung von Wissen&Glauben sowie deren Differenzierung kein Widerspruch bilden, sondern sich einander durchaus gut ergänzen evtl. sogar bedingen.